Herr Scheier, aus der Sicht des Neuropsychologen: Warum kaufen wir, was wir kaufen?
Zwei unabhängige Dimensionen bestimmen einen Kauf: die erwartete Belohnung einerseits und der erwartete Schmerz durch den Preis auf der anderen Seite. Ein Rabatt beispielsweise erhöht nicht die Belohnung, aber er reduziert den erwarteten Schmerz. Bestimmte Märkte gehen über die Schmerzlinderung, aber sobald ein Unternehmen in Rabattschlachten einsteigt, werden Kunden weniger loyal. Für Unternehmen ist es daher wichtig, über den Belohnungshebel zu arbeiten und weniger über den Schmerzhebel - was jedoch häufig aus Reflex gemacht wird.
Belohnung bedeutet also immer, ein Bedürfnis zu stillen?
Ich kann keine Bedürfnisse wecken, die nicht da sind. Entweder die Motivation ist da, und ich kann sie adressieren, oder sie ist nicht da – und dann ist es nahezu unmöglich, Menschen zu motivieren. Lange dachten wir, manipulierbare Sklaven der Industrie zu sein. Es ist genau umgekehrt. Die Belohnung, die ein Unternehmen auslobt, muss vielmehr an ein bereits bestehendes Bedürfnis ankoppeln. Wenn ein Duschgel, das auch Bodylotion ist, am Markt funktioniert, ist das zwar ein neuartiges Produkt, aber es funktioniert unter anderem, weil Menschen bereits ein Bedürfnis haben, sei es auch ein nur latent vorhandenes. Dieses Bedürfnis besagt: Ich will in einem Durchgang duschen und mich eincremen.
Wir leben im Bewusstsein, ständig im Wandel zu sein – auch im digitalen Zeitalter?
Der Mensch ändert sich weniger, als er vermutet. Von den Millennials wird gerne behauptet, dass sie anders sind und sich dauernd im Wandel befinden. Aus der Sicht des Neuropsychologen ist das nicht der Fall. Zahlreiche Studien belegen das. Unser Gehirn ändert sich über Zeiträume von Zehntausenden von Jahren, nicht innerhalb einer Generation. Neue Medien, insbesondere Smartphones, absorbieren zwar Aufmerksamkeit von anderen Medien, aber die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen ist die gleiche wie vor 100 Jahren.